Hormontherapie: Bioidentisch, naturidentisch, synthetisch – oder darf es etwas vom Schwein sein?

Naturidentische Hormone

„Bioidentisch, naturidentisch, synthetisch“ sind Begriffe, die immer mehr bei der Therapie mit Hormonen angewendet werden. Die Bezeichnung „bioidentisch oder naturidentisch“ vermittelt ein Gefühl von Natürlichkeit, wenn solche Therapieverfahren bei Beschwerden empfohlen werden, wie z. B. bei Schilddrüsenfunktionsstörungen oder bei Beschwerden in den Wechseljahren. Der Begriff „synthetisch“ hingegen steht mehr für künstlich, pure Chemie und möglicherweise schädlich. In diesem Stoffwechselbrief erfahren Sie, wie Hormone wirken und was es mit diesen Begriffen auf sich hat.

Hormone sind Botenstoffe, die von speziellen Organen, den Drüsen, hergestellt werden. Sie funktionieren nach dem „Schlüssel - Schlüsselloch – Prinzip“: bindet sich ein Hormon („Schlüssel“) an den Rezeptor („Schlüsselloch“), wird das Signal direkt an die Zelle weitergeleitet.

Hormone sind Botenstoffe

Die Wirkung kann lange oder kurz andauern, je nachdem wie lange der „Schlüssel“ in „gedrehter Öffnungsposition im Schlüsselloch“ steckt. Biochemisch formuliert: je nachdem wie lange die Bindung an den Rezeptor ist, desto länger wirkt das Hormon an der Zelle. In den Drüsen unseres Körpers werden Vorstufen von Hormonen gebildet, die kürzer wirken als z.B. das eigentliche Hormon. Das Grundgerüst für die Steroid – Hormone (Sexual-Hormone und Hormone der Nebenniere, wie Cortison) liefert das Cholesterin (Abb.1). Aus Cholesterin werden auch Vitamine hergestellt.

Cortisons

Die Abbildung zeigt, dass es unterschiedliche Formen des Progesterons, Cortisons, der männlichen Hormone (Androgene) und der Östrogene gibt. In der Therapie nutzt man die unterschiedliche Wirkung dieser Hormone, weil sich die hormonelle Zusammenstellung in den verschieden Lebensphasen auch ändert.

„Naturidentisch“ – Von den Anfängen der Hormongewinnung

Die natürlichen Quellen, heute würde man diese als naturidentische Hormonquellen bezeichnen, für die Hormongewinnung waren in der Anfangszeit der Hormontherapie der Urin von Männern und Frauen oder Stuten, sowie die Drüsen von Schweinen und Bullen.

Dem Kanadier Frederick Banting gelang es Anfang der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts, Insulin aus der Bauchspeicheldrüse von Schweinen zu isolieren. Dafür bekam er 1923 als bisher jüngster Forscher im Alter von 32 Jahren den Medizin - Nobelpreis. Diese Hormone sind also tierischen Ursprungs und deshalb eben „naturidentisch“.

Ähnlich verhält es sich mit der Gewinnung männlicher Hormone. Das männliche Hormon Androsteron wurde im Jahre 1931 erstmals aus dem männlichen Urin isoliert. Um die Nachfrage nach diesen männlichen Hormonen befriedigen zu können, brauchte man 15.000 l Urin, um nur 15 mg von diesen männlichen Hormonen herstellen zu können. Ähnlich war es mit dem weiblichen Hormon Östradiol: um 12 mg von diesem Hormon herstellen zu können, brauchte man 4 Tonnen Eierstöcke von Sauen. Circa 100 kg Hoden von Bullen sind erforderlich, um 10 mg Testosteron herzustellen. 100 kg Nebennieren von zwei 20.000 Kühen sind erforderlich, um 75 mg Cortison oder 55 mg Hydrocortison zu isolieren.
(Mediterrane.J.Chem., 2014,3(2).

Als Anfang der Neunzigerjahre erstmals industriell synthetisiertes Insulin (gentechnisch veränderte Hefe) auf den Markt kam, bedeutete dies für die Patienten mit Diabetes einen riesigen Fortschritt: in den Jahrzehnten zuvor wurde aus den Bauchspeicheldrüsen von Schweinen aufwändig Insulin gewonnen und biochemisch aufgearbeitet. Die Nebenwirkung der Therapie mit Schweineinsulin war, dass der Körper, genauer das Immunsystem, Antikörper bildete, die die Wirksamkeit des Insulins verringerten. Häufig entwickelten die Patienten auch allergische Reaktionen auf dieses körperfremde Hormon.

Was Yamswurzel, Bockshornklee und Spargel gemeinsam haben

1951 erhielt der Pole Tadeusz Reichstein den Nobelpreis für die Isolierung und strukturelle Aufklärung von Cortison. Anfänglich wurde dieses Hormon aus der Rindergalle synthetisiert. Aus Cholesterin wird in verschiedenen Schritten im Körper der Grundbaustein für viele Hormone produziert, das Diosgenin.

Der amerikanischen Firma Syntex gelang 1944 die Synthese des Cortisons aus einer Pflanze, die den Grundbaustein Diosgenin enthält: aus der Yams-Wurzel. Das Diosgenin gibt es aber auch im Bockshornklee, in der Jericho – Tomate, im Spargel oder aber auch in der Weißen Zwiebel. Um aus einer Yams-Wurzel diesen Grundbaustein zu isolieren, aus dem dann Hormone „gebastelt“ werden, ist ein aufwändiger biochemischer Prozess nötig – die klassische Aufgabe der Pharmazie!

Diosgenin

Abbildung 2: Unser Körper kann aus Cholesterin den Baustein für Hormone herstellen: Diosgenin.

Unser Körper ist nicht in der Lage, aus der Yams-Wurzel oder Spargel Hormone zu synthetisieren. Es ist also sinnlos, Kapseln davon einzunehmen oder Salben aufzutragen, um Wechseljahrsbeschwerden zu behandeln, da unser Körper diese nicht in Hormone umwandeln kann. Die Anwendung bei Wechseljahrsbeschwerden beruht auf einem Missverständnis. Die Yams -Wurzel wurde zur chemisch-synthetischen Gewinnung von weiblichen Sexualhormonen und anderer Steroidhormone verwendet (z.B. Progesteron aus Diosgenin). Bei der Einnahme von Yams-Wurzel oder der lokalen Anwendung findet diese Umwandlung im Körper jedoch nicht statt. (www.pharmawiki.ch/wiki/index.php?wiki=wilde%20Yamswurzel).

Die Yamswurzel dient also zur Gewinnung des Grundbausteins für Hormone, des Diosgenins. Der Ausgangsstoff Diosgenin ermöglicht der pharmazeutischen Industrie, auch die verschiedenen Vorstufen von Progesteron und Östrogen herzustellen, ebenso auch von Testosteron. Würde man diese Hormone beschreiben, so passt der Begriff „bioidentisch“ am besten: sie sind identisch den menschlichen Hormonen, aber stammen nicht aus menschlichem Gewebe oder menschlichen Körperflüssigkeiten, sondern sind pflanzlichen Ursprungs.

Einfacher formuliert: alle Hormone, die heute „künstlich“ (Grundstofflieferanten sind überwiegend Pflanzen, aber auch Bakterien) hergestellt und therapeutisch angewendet werden, sind bioidentisch. Hätten sie nämlich nicht die gleiche Form oder die genaue biochemische Struktur, könnten sie am Rezeptor auch nicht wirken.

Klinische Forschung zur Hormontherapie

Magen, Darm und Leber sind die drei wichtigsten „Hürden“, die ein Medikament überwinden muss („First-Pass-Effekt“). Damit das Medikament an Wirksamkeit wenig verliert, wird es in Magensäure unempfindliche Kapseln verpackt, die sich dann im Darm auflösen, um über die Darmwand und die große Lebervene (Portalvene) in die Leber und dann in den Blutkreislauf zu gelangen.

Die Leber kann ein Medikament so verändern, dass dieses erheblich an Wirksamkeit einbüßt. Aus diesem Grund werden z.B. Hormone an andere „Eiweiße“ (genauer Aminosäuren) gebunden, die dann zwar bei den Passagen das Eiweiß verlieren, das Grundgerüst des Hormons aber bleibt, d.h. das Hormon bleibt komplett erhalten. Deshalb werden aufwendige Untersuchungen durchgeführt, um ein Dosis-Wirkungs -Profil zu erstellen (wieviel Hormon muss man einnehmen, damit eine Wirkung messbar ist).
Diese Verstoffwechselung kann man umgehen, indem man Medikamente oder Hormone als Creme oder Gel auf die Haut aufträgt: die Substanz wird dann über die Haut in das darunter liegende Fettgewebe in den Blutkreislauf abgegeben.

Blutkreislauf
Abbildung 3: Nahrungsmittel, Hormone, Vitamine und auch Hormone müssen im Körper verschiedene Passagen durchlaufen und verlieren dadurch an Wirkung (angepasst von https://www.pharmawiki.ch/wiki/index.php?wiki=First-Pass-Metabolismus).

Allerdings hat diese Anwendung Grenzen, wenn hohe Dosierungen erforderlich sind, um im Körper eine Wirkung zu erreichen.

Hormone „maßgeschneidert“ oder konventionell gefertigt?

Der Trend ist unverkennbar: immer mehr werden Patienten „individuell gefertigte“, „maßgeschneiderte“ Hormon-Dosierungen als Therapie vorgeschlagen, unter der Bemerkung, diese seien „bioidentisch“ oder „naturidentisch“ und passgenau für den Körper des Patienten dosiert, und deshalb weniger belastend. In den USA bezeichnet man alle Hormone als „bioidentisch“, da - wie oben beschrieben – die Grundstoffe für die Herstellung der Hormone die gleichen sind (JCEM2016,101,1318-1343).

Während in der „Schulmedizin“ und in der Pharmazie Studien über die Dosis-Wirkungsbeziehung durchgeführt, Nebenwirkungen und Risiken über Jahre erfasst und beurteilt wurden, fehlen diese Daten und Sicherheiten bei „individuell“ angefertigten Hormonrezepturen. In Deutschland, in Europa wie auch in den USA werden die erhobenen Daten von offiziellen Behörden (in Europa „EMEA“) geprüft, bevor diese Medikamente auf dem Markt zugelassen werden. Die Krankenkassen der jeweiligen Länder übernehmen erst dann die Kosten, wenn der wissenschaftliche Beweis über die Wirksamkeit, Risikoprofil und Nutzen („Evidenz“) vorliegt.

Es ist offensichtlich, dass bei „individuell“ angefertigten bioidentischen Hormonrezepturen keine Dosis-Wirkungsstudien durchgeführt werden, auch eine Erfassung der Nebenwirkungen dieser Produkte erfolgt nicht. Das Risiko trägt der Patient, ebenso die Kosten.

Beispiel Menopause:

Fast 20% der Frauen in der Menopause haben keine menopausalen Beschwerden. Normales Gewicht vor der Menopause und regelmäßiges Ausdauertraining wirken sich günstig auf diese Beschwerden aus. Vor der Menopause ist Östradiol das dominierende Hormon, das im weiblichen Körper wirkt. In der Menopause wird allerdings in erster Linie Östron bei den Frauen gemessen: dieses weibliche Hormon wirkt deutlich kürzer als Östradiol und wird von der Nebenniere in das männliche Hormon Androstendion und vom Fettgewebe in Östradiol umgewandelt (MayoClinProc. 2011,86,673-680). Östradiolmessungen sind deshalb keine sicheren Marker, um einen Östrogenmangel nachzuweisen (JCEM2016,101,1318-1343).

Die gegenwärtigen in der Apotheke verfügbaren Hormone zur Therapie menopausaler Beschwerden ermöglichen eine individuelle, von den Frauen selbst dosierbare Therapie: Östrogen kann als Gel, Creme, Pflaster oder Spray nach Bedarf aufgetragen werden, Progesteron, das die Gebärmutter vor den Östrogenwirkungen schützt, als Kapsel. Östrogen in Tablettenform sollte vermieden werden, da es Hinweise gibt, dass die durch die Leber veränderten Östradiolabbauprodukte in Kombination mit Progesteron das Brustkrebs – Risiko erhöhen.

Beispiel Schilddrüse (SD):

1891 wurden erstmals Erkrankungen der Schilddrüse mit Schilddrüsenhormonextrakten behandelt. Auch diese wurden von Tieren gewonnen: aus Schweineschilddrüsen. Vor der BSE-Krise wurden SD-Hormone auch vom Rind hergestellt. Die erzeugten Extrakte enthalten die beiden Hormone Thyroxin (T4) und Trijodthyronin (T3) in unterschiedlichen Verhältnissen. Außerdem finden sich darin weitere Zellbestandteile des tierischen Organs, die jedoch auf die menschliche Schilddrüse keinerlei positiven oder gar heilenden Einfluss haben.
(https://www.forum-schilddruese.de/service/schilddruese-new; JCEM2016,101,1318-1343) Hingegen können diese Bestandteile zu Unverträglichkeitsreaktionen führen. Besonders problematisch ist außerdem: die Extrakte liefern deutlich mehr von dem Hormon T3 als die menschliche Schilddrüse normalerweise produziert. Das Hormon T3 wirkt „direkt“ an den Zellen und kann zu Überfunktionszuständen führen, mit Nebenwirkungen für das Herz und das vegetative Nervensystem (schlechtes Schlafen, Schwitzen). T4, also L-Thyroxin, gibt es in unterschiedlichen Dosierungen im Handel und erlaubt eine „maßgeschneiderte“ Therapie: aus T4 stellt der Körper bedarfsorientiert T3 her.


Fazit:
- Alle Hormone, die heute über die Apotheken vertrieben werden, sind „bioidentisch“.
- Alle Hormone, also auch sog. „individuell“ angefertigte Hormonrezepturen, haben Nebenwirkungen.
- Die in den Apotheken erhältlichen geprüften bioidentischen Hormone erlauben eine individuelle Therapie für Patienten mit Schilddrüsenerkrankungen oder Frauen mit menopausalen Beschwerden.
- „Individuell“ angefertigte Hormone sind nicht geprüfte und überprüfte Hormone, deren Wirkungen und Nebenwirkungen nicht erfasst werden. Deshalb werden die Kosten für diese Hormone von den Krankenkassen nicht übernommen.

Danksagung: Ich danke Prof.Dr.Theo Dingermann, Institut für Pharmazeutische Biologie, Goethe-Universität Frankfurt/Main, für die Unterstützung bei der Erstellung des Stoffwechselbriefes.

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